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Verständigung mit Tempo und mit dem Mut, langsamer zu werden

Dienstag, 10. Juni 2025

Über die Autorin

Zoë Schlär ist seit fast 20 Jahren Mediatorin und versteht sich als Übersetzerin in Konfliktsituationen – sowohl im Beruflichen als auch im Privaten. Zudem ist sie Ausbilderin für Mediation, Trainerin und Systemischer Businesscoach. Für Creme Guides schreibt sie über festgefahrene Situationen, neue Begegnungsräume und das gegenseitige Verstehen, um nachhaltige Veränderung zu erreichen.

Es gibt Paare, die streiten über Ordnung. Andere über Nähe. Wieder andere – über Zeit. Zeit, die fehlt. Zeit, die zu viel ist. Zeit, die unterschiedlich empfunden wird. Mal rennt eine Minute, verfliegt quasi für den einen und kann sich doch für den anderen wie Kaugummi unendlich in die Länge ziehen.

Anne und Marc sind so ein Paar. Auf den ersten Blick scheint es gar kein „großes Thema" zu sein. Sie liebt es, sich Zeit zu nehmen – fürs Gespräch, für die Kinder, fürs Nachdenken. Marc dagegen hat einen strukturierten Alltag, ist effizient, zielgerichtet, immer zwei Schritte voraus. In seiner Welt ist Zeit ein kostbares Gut. In ihrer Welt ist Zeit ein Raum, in dem sich Dinge entfalten dürfen.

Das führt zu Konflikten. Kleine Sticheleien, die irgendwann schwerer wiegen als gedacht: „Kannst du dich mal beeilen?" „Ich mach das gleich, lass mich doch…" „Du verlierst dich in allem." „Du hetzt mich dauernd."

Diese alltäglichen Sätze sind wie winzige Nadelstiche – einzeln kaum spürbar, in der Summe aber schmerzhaft. Dahinter stehen unausgesprochene Botschaften: „Ich brauche Klarheit und Struktur" gegen „Ich brauche Zeit, um zu verstehen." Beide sprechen verschiedene Sprachen der Zeit.

In der Beratung sitzen sie sich gegenüber – und auch hier zeigt sich, was sie trennt: Anne sucht beim Sprechen nach Worten, tastet sich voran, denkt laut. Marc schaut auf die Uhr. Er weiß längst, was er sagen will. In seinen Augen: Zeitverschwendung. In ihren Augen: Überforderung.

In solchen Momenten wird deutlich: Tempo ist nicht nur eine Frage der Geschwindigkeit. Es ist eine Frage der Sicherheit. Manche Menschen brauchen Zeit, um sich zu sammeln, um Vertrauen zu fassen, um ihre Gedanken zu sortieren. Andere wiederum fühlen sich in der Klarheit zu Hause, in der Struktur, im vorwärts gerichteten Denken. Keiner davon ist besser oder schlechter – sie sind einfach unterschiedlich.

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Was dabei oft übersehen wird: Wer langsamer ist, kann nicht schneller. Aber wer schneller ist – kann langsamer. So wie beim gemeinsamen Joggen: Das Tempo richtet sich immer nach der langsamsten Person. Nicht, weil sie wichtiger ist. Sondern, weil es sonst kein Miteinander gibt.

Diese Erkenntnis ist für viele zunächst frustrierend. „Warum soll ich mich immer anpassen?", fragen sie. Aber hier liegt ein Missverständnis vor. Es geht nicht um Anpassung, sondern um Verständnis. Um die Bereitschaft, die Welt durch die Augen des anderen zu sehen.

Das heißt nicht, dass die schnellere Person übergangen wird. Im Gegenteil: In einem guten Beratungsprozess wird auch ihr Bedürfnis gesehen – nach Klarheit, nach Effizienz, nach Tempo. Und oft ist das genug: gehört zu werden. Denn hinter dem Drang nach Geschwindigkeit steckt meist nicht Ungeduld, sondern Sorge. Die Sorge, dass wichtige Dinge auf der Strecke bleiben. Dass Zeit verrinnt, ohne dass etwas erreicht wird.

Wenn diese Sorge ernst genommen wird, entspannt sich oft schon viel. „Ich sehe, dass du dir Gedanken machst über unsere Zeit", kann ein Satz sein, der Welten öffnet. Eine Methode, die in solchen Momenten wahre Wunder wirkt, ist das sogenannte walk-and-talk. Kein Tisch, kein Stuhl, keine Konfrontation. Stattdessen: Rausgehen. Spazieren. Gemeinsam in eine Richtung blicken. Der Körper in Bewegung, die Gedanken gleich hinterher.

Es ist erstaunlich, was passiert, wenn Menschen sich bewegen. Die Atmosphäre verändert sich. Der Druck fällt ab. Das Gegenübersitzen, dieses leicht kämpferische Element, löst sich auf. Stattdessen entsteht etwas Neues: ein gemeinsamer Rhythmus. Die Füße finden von selbst das gleiche Tempo, und mit ihnen oft auch die Gedanken. Ganz unbewusst finden beide ein gemeinsames Tempo. Es geht nicht um „Schneller" oder „Langsamer". Es geht um Verbindung. Um Gleichschritt.

Anne und Marc erlebten das bei ihrem ersten Spaziergang sehr deutlich. „Plötzlich war es gar nicht mehr wichtig, wer recht hat", erzählte Marc später. Und Anne ergänzte: „Ich fühlte mich nicht mehr gehetzt, aber auch nicht gebremst. Wir waren einfach… da."

Denn oft liegt genau dort – zwischen den Schritten, im gemeinsamen Rhythmus – die Lösung. Nicht im Verstand. Das ist vielleicht das Geheimnis guter Verständigung: dass sie nicht bei der Geschwindigkeit beginnt, sondern bei der Bereitschaft, das eigene Tempo zu hinterfragen. Nicht um es aufzugeben, sondern um zu verstehen, dass es auch andere Rhythmen gibt. Zeit wird dann nicht mehr zu etwas, was man haben oder nicht haben kann. Sie wird zu etwas, was man gemeinsam gestaltet.

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