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Die Berufsbezeichnung eines Historikers ist manchen Leser*innen mit Strenge assoziiert, mit Staub, Pingeligkeit und ein bisschen Langeweile. Valentin Groebner ist Historiker – und jetzt bitte nicht gleich weiterklicken – und das exakte Gegenteil dieses Altherrencharmes: frisch, beweglich, anregend. Er ist einer der aufregendsten Historiker unserer Zeit.
Auf den ersten Blick sind Groebners Themen gar keine historischen. Er schreibt über Urlaubsreisen, Selbstdarstellung oder das Horten von Dingen – Themengebiete also, die einem gegenwärtigen bürgerlichen Alltag allzu vertraut sind. Und genau eine solche durch Gewohnheit blind gewordene Praxis ist Groebners Stoßrichtung: Konventionen so genau zu betrachten, dass man als Leser*in zumindest ins Stutzen gerät. Er provoziert die Frage Mache ich das genauso? oder – um es mit einem seiner Buchtitel zu sagen: Bin ich das?
In seinem jüngsten Buch widmet er sich dem Umgang mit schönen Dingen. Und schon der Titel deutet ein Dilemma an: Aufheben, Wegwerfen. Bitte verstehen Sie das nicht als Ratgeber, als Versuchsanleitung, was mit den schönen (manchmal überflüssigen) Dingen nun zu tun ist. Nein, Groebner interessiert eher, was schön überhaupt meint, was es mit uns macht, wenn wir uns mit Schönheit umgeben, wer wir dann werden und was wir damit zeigen wollen.
Die Schönheit und Stilsicherheit mit Hilfe von Kleidung oder Tätowierungen am eigenen Körper zu präsentieren, hat Groebner in seiner „Kurzen Geschichte der Selbstdarstellung“ untersucht. Nun widmet er sich den gekauften, geerbten, gefundenen Dingen. Und da diese Dinge meistens unseren Lebensraum ausstatten, ist dieser flotte essayistische Text durchzogen von Alltag, von Gesprächen und Statements all jener Menschen, die Groebner haben eintreten lassen in ihre Schreine.
Dieser Autor ist kein Alleinemacher, er zitiert fleißig und scheut keine in akademischen Kreisen vielleicht heikle Quelle oder banale Methode. Und so kommen auch Rechtshistoriker*innen, Galerist*innen, Sammler*innen oder eben Physiotherapeut*innen zu Wort:
„Wir wollen uns selber in unseren Dingen wiedererkennen – und eben nicht nur in den Kleidern, sondern auch in allen anderen Ausrüstungsgegenständen, die als Fortsetzungen des eigenen Körpers brauchbar sind. All die älteren Männer, erzählt mein Physiotherapeut lachend, die unbedingt jungbleiben und abnehmen wollen und dafür über Alpenpässe radeln. Du bist auch so einer. Das stimmt.
Aber eines, ergänzt er maliziös, verstehe ich nicht. Wenn es so anstrengend wie möglich sein soll und man davon abnehmen soll und ordentliche Muskeln kriegen, warum nehmen die dann nicht ein altmodisches schweres Fahrrad, damit es anstrengender wird, statt dem superleichten teuren Rennrad?
Weil mein Rennrad eben mein Zweitkörper ist, mit all den Eigenschaften, die ich mir für meinen Erstkörper auch wünsche: belastbar, zäh, superleicht und mit den verlockenden libidinösen Anschwellungen an den richtigen Stellen. Mit einem Auto geht das natürlich auch.“
Wie schon eingangs betont ist Valentin Groebner eben kein Reporter, sondern Historiker. Der Sondierung des Alltags, der Auslotung des Themenspektrums folgt in der Methode Groebner immer die Verortung im Historischen, in der Geschichte der Schönheit, des schlechten Gewissens oder des guten Geschmacks.
Ein typischer Groebner-Satz klingt dann so: „Die Konsumgesellschaft der Gegenwart hat von der gelehrten Magie des späten Mittelalters das Versprechen übernommen, das sich mich durch den Erwerb des richtigen und wirkungsstarken Gegenstands in jene bessere Version meiner Selbst verwandeln könne, die ich mir wünsche (…).“
Groebner lesen ist höchste Lebendigkeit, gepaart mit wildem Denken und tiefem Wissen. Er ist eine Art Bürgerschreck des 21. Jahrhunderts, eben weil er uns so nah rückt, uns so nah befragt, dass das Erkennen des eigenen Lebens zu diesem Lesen dazugehört. Schön und schrecklich, irgendwie.