Zoë Schlär ist seit fast 20 Jahren Mediatorin und versteht sich als Übersetzerin in Konfliktsituationen – sowohl im Beruflichen als auch im Privaten. Zudem ist sie Ausbilderin für Mediation, Trainerin und Systemischer Businesscoach. Für Creme Guides schreibt sie über festgefahrene Situationen, neue Begegnungsräume und das gegenseitige Verstehen, um nachhaltige Veränderung zu erreichen.
Sie hatte sich vorgenommen, in diesen drei Wochen keine Gedanken an die Arbeit zu verschwenden. Keine E-Mails. Kein Grübeln. Nur Berge, Bücher, Kinderlachen. Und doch sitzt Meike nun da, am Rand des Pools, die Füße im kühlen Wasser, während ihr Blick über das Tal gleitet, sind die Gedanken ganz woanders.
Es ist wie ein leiser Hintergrundton, den sie nicht loswird. Die letzte Teambesprechung, in der wieder diese scharfe Bemerkung fiel. Das stille Kopfschütteln von Jonas. Der Vorwurf, sie würde nicht loslassen können. Zu viel Kontrolle, zu wenig Vertrauen. Oder war es andersherum? Meike weiß selbst nicht mehr genau, wie es sich angehört hat, aber sie weiß, wie es sich angefühlt hat: unangenehm. Und irgendwie vertraut. Als würde sich da ein Muster wiederholen, das sie nicht ganz greifen kann.
Sie hat lange geglaubt, dass sich solche Dinge mit der Zeit von selbst lösen. Dass sie durchhalten müsse, professionell bleiben, geduldig. Doch inzwischen spürt sie, wie ihr diese Geduld an manchen Tagen schwerfällt. Und wie sie manchmal nicht mehr genau weiß, was sie eigentlich noch richtig macht.
Der Himmel über ihr ist wolkenlos. Die Sonne reflektiert auf der Wasseroberfläche, als wolle sie ihr sagen: Jetzt ist nicht die Zeit dafür. Und trotzdem ist da dieses leise Bedürfnis, die Gedanken zu ordnen, bevor sie überhandnehmen.
Meike greift nach dem kleinen Notizbuch, das sie vor der Abreise in letzter Minute in den Koffer gesteckt hat. Ein leeres Buch, wie sie es liebt. Ohne Linien, ohne Ansprüche. Nur Raum. Und sie beginnt zu schreiben. Kein Tagebuch, kein Brief. Einfach Gedanken. Halbsätze. Beobachtungen. Fragen.
Was einmal aufgeschrieben ist, denkt sie, muss nicht länger festgehalten werden. Es ist nicht verschwunden, aber es ist gesichert. Und vor allem: Es liegt nicht mehr zwischen ihr und dem Urlaub.
Je mehr sie schreibt, desto mehr spürt sie, wie sich ein innerer Knoten löst. Sie muss jetzt nicht alles lösen, es reicht, wenn sie es benennt. Wenn sie es nicht länger verdrängt, sondern in Worte fasst. Und das tut gut.
Am Abend sitzt sie mit ihrem Mann auf der Terrasse. Die Kinder schlafen. Zum ersten Mal seit langer Zeit unterhalten sie sich über andere Dinge als Arbeitszeitmodelle, Projektstaus oder Elternabende. Sie sprechen, hören einander zu, lachen über alte Geschichten und schweigen gemeinsam. Und etwas in Meike wird ruhig und die folgenden Tage fühlt sie sich leichter an. Nicht, weil sich die Dinge von selbst gelöst hätten. Aber weil sie nun an ihrem Ort sind. Im Buch. Nicht im Kopf.
Als der Urlaub sich dem Ende zuneigt, schlägt Meike das Notizbuch noch einmal auf. Sie liest, was sie geschrieben hat. Manche Formulierungen wirken fremd, andere schmerzen noch immer ein wenig. Doch es ist nicht mehr dieses Wirrwarr. Es ist wie eine kleine, leise Karte, ein innerer Kompass.
Zurück im Büro wird sie Zeit brauchen. Nicht für Meetings und neue Projekte, sondern für Gespräche. Echte Gespräche. Mit einzelnen Teammitgliedern. Mit sich selbst. Sie wird sich fragen: Was kann ich verändern? Wo braucht jemand Unterstützung? Was will ich klären? Und vielleicht ist auch der Moment gekommen, einen Schritt weiterzudenken. Eine Fortbildung anzugehen, die sie schon lange aufgeschoben hat. Oder einen Teamtag zu initiieren, der Raum schafft für das, was oft keinen Platz hat im Alltag: das Miteinander.
Denn eines hat sie begriffen, irgendwo zwischen Bergen und Chlorgeruch: Konflikte sind manchmal wie eine Mauer – stehen wir zu nah, sehen wir nur Steine und keine Möglichkeiten, diese zu überwinden. Erst wenn wir Abstand gewinnen, erkennen wir das Ganze. Und dann merken wir, dass es Wege gibt. Darüber, daran vorbei oder mitten hindurch. Die Mauer bleibt. Aber sie blockiert nicht mehr.