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Von Wanderlust und Lustwandeln Die neue Freude am Gehen

Mittwoch, 27. Januar 2021

„Gehen wir am Wochenende spazieren?“ Bis vor einiger Zeit hätte ich diese Frage lediglich mit einer hochgezogene Augenbraue quittiert. Mittlerweile aber ist das Spazierengehen ein regelrechtes Happening. Gar das neue Ausgehen, betrachtet man die Horden lustwandelnder Großstädter an Kanälen, in Parks und Wäldern. Es ist die womöglich beliebteste Freizeit-Beschäftigung aller Homeoffice-Geplagten, Homeschooling-Gepeinigten und Lockdown-Gelangweilten. Was soll man auch anderes machen, als in den Wald zu gehen?

Und tatsächlich scheint der Körper einem zu sagen: Ja, gib mir frische Luft. Führ‘ mich in die Stille des Waldes. Spürst du das weiche Moos unter den Füßen? Rauschende Stille, sehnsüchtige Ruhe, heilsame Kraft der Natur, ein schweifender Blick in die Ferne – das wussten schon die deutschen Romantiker zu schätzen. Man denke an Caspar David Friedrichs bekannten Blick auf das Nebelmeer. Obwohl man sein Gesicht nicht sieht, meint man doch beinah zu hören, wie er sich zu einem wohligen Seufzer hinreißen lässt, mit übervollem Herzen den Anblick des Horizonts genießend.

Der Eskapismus in die heilsame Natur und damit auch der vielbeschworene „deutsche Wald“ sind Erfindungen dieser Zeit des Entfliehens aus der Wirklichkeit. Denn anders als die märchenhaft anmutenden Geschichten, Bilder und Musikstücke der Epoche vermuten lassen, herrschte geschichtlich alles andere als Idylle. Kriege und die Französische Revolution lagen in der Luft. Die Romantiker flohen gewissermaßen in ihre Fantasie und in die Natur. Ihre „gequälten Seelen“ verlangten im Zuge der Verstädterung nach dem vermeintlichen Ideal der Natur, die mittlerweile gebildeten Bürger sehnten sich ab da nach dem "einfacheren Leben", das noch einige Jahrhunderte vorher mühsam und voller Sorgen war. Und so entdeckte das Bürgertum im 18. Jahrhundert das Spazieren.

Lustgewandelt wurde natürlich schon früher, davon zeugen noch heute die ausgedehnte Lustgärten diverser Schlossanlagen. Wer sonst hatte auch Zeit und Ressourcen dazu, sinnlos durch die Gegend zu laufen, als der Adel. Das gemeine Volk lief, um zu arbeiten, Felder zu bestellen, Wasser zu holen, Nahrung zu beschaffen.

Der Gang in den Supermarkt zählt auch heute nicht wirklich als Spaziergang. Und sogar für diesen bevorzugen viele das Auto oder das Fahrrad. 5200 Schritte geht man in Deutschland durchschnittlich am Tag. Dabei rezitieren viele die magischen 10.000. Diese Zahl, die übrigens von einem cleveren Werbe-Coup von einem japanischen Schrittzähler aus den 60er Jahren stammt. Besser wären nämlich noch mehr, wie viele Mediziner sagen.

Der Körper dankt es einem allerdings schon, wenn man sich für zehn Minuten an die frische Luft begibt, das vertreibt Stress und Müdigkeit. Schon eine halbe Stunde zügiger Bewegung an der frischen Luft täglich kann ein wichtiger Schlüssel für die physische wie die psychische Gesundheit sein – insbesondere, wenn man sonst nur noch zuhause vor dem PC sitzt. Die Muskulatur wird genutzt und durchblutet, Verspannungen gelockert, die Lungen mit reichlich Sauerstoff versorgt, der Hormonhaushalt freut sich über Tageslicht und Vitamin D. Die Augen entspannen, wenn sie statt in ein leuchtendes Rechteck mal wieder in die Weite schweifen. Sogar Depressionen und viele Zivilisationskrankheiten können vorgebeugt werden.

Ärzte empfehlen deshalb das Spazieren an der frischen Luft – insbesondere derzeit. Das planlose aber bewusste Umherstreifen durch den nächsten Park schafft neue Blickwinkel, Gedanken beginnen zu Fließen. Schon manch eine:r ist beim entspannten Spaziergang auf die besten Ideen gekommen – Aristoteles etwa, Simone de Beauvoir, Steve Jobs, um nur einige zu nennen. Nicht nur, entdeckt jene:r mehr und nimmt die Umwelt anders wahr, das Gehen schärft auch den Fokus; es also auch die perfekte Beschäftigung für die Mittagspause.

Sogar bei akutem Fernweh oder in tiefster Corona-Verzweiflung kann ein zügiger Spaziergang im Grün um die Ecke eine seelische Wohltat sein. Die Gründe für die Renaissance des Spazierens sind zahlreich. Bei all den offensichtlichen Vorteilen bleibt zu hoffen, dass diese Erkenntnisse in Zukunft dann auch mehr Beachtung im Städtebau finden. Der ist bekanntlich nämlich noch immer vor allem auf Autos und Wohnblöcke ausgelegt. Spazierer haben einfach keine Lobby. Aber wir werden mehr. Immer mehr. Was soll man auch anderes tun. Im Lockdown. Im Winter.

Tipp: Auf Creme Guides haben wir einige schöne Orte zum Spazierengehen in Berlin, HamburgMünchen und Zürich zusammengefasst. Also dick einpacken und los! Es wird Ihnen auf jeder Ebene guttun!

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