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Übers Putzen Kann da schon der Schwamm drüber?

Mittwoch, 17. März 2021
Advertorial

Als ich noch studiert habe, waren meine Fenster selten so blitzeblank wie während der Semesterferien. Das lag nicht daran, dass ich plötzlich mehr Zeit hatte, sondern daran, dass ich Hausarbeiten schreiben musste. Mein schweifender Prokrastinations-Blick fiel dann regelmäßig auf meine dreckigen Fenster. So kann doch kein Mensch arbeiten, ging es mir dann durch den Kopf und ich schnappte mir festentschlossen Eimer und Lappen.

Doppelt verglaste Altbau-Fenster – das dauert richtig lange! Die perfekte Prokrastination also. Und es ist ja nicht so, dass ich gefaulenzt oder gefeiert hätte, statt weiter an der Hausarbeit zu sitzen. Putzen ist ja durchaus etwas sinnvolles. Regelmäßig erzählen mir Menschen, mit denen ich über die schönsten Aspekte ihres Berufs spreche, dass das schönste an ihrer Arbeit sei, dass man die Ergebnisse direkt sehen kann. Auch deshalb finde ich Putzen extrem befriedigend. Dieses Flow-Gefühl des Schrubbens in Verbindung mit einem gesetzten Ziel vermindert Stress und schüttet Endorphine aus. Je verdreckter es ist, desto befriedigender ist das Ganze. 

Dabei habe ich sicherlich keinen Putzfimmel (das sieht man beispielsweise an meinen Fenstern, wenn nicht gerade eine Hausarbeit ansteht). Aber wenn es Zeit ist und ich Schlieren, Flecken und lange dunkle Haare nicht mehr ignorieren kann, dann putze ich durchaus gern. Denn neben streifenfreier Sauberkeit bringt mir das Putzen ganz persönlich etwas. Vor allem dann, wenn ich es für mich tue. Es entspannt, hilft beim Sortieren der Gedanken, bringt Klarheit und Kontemplation. Beim Putzen kann ich so abschalten wie bei kaum einer anderen Tätigkeit – Mediation ist nichts dagegen.

Tatsächlich bestätigt diesen Gedanken die Psychologin Annegret Wolf. Eine saubere Umgebung könne dabei helfen, produktiv zu sein. Die Parallele, nach der man beim Putzen der Umgebung gleichzeitig sein Inneres reinigt und ordnet – denn die Ordnung ist immer eine Komponente des Putzens – ist nicht ganz von der Hand zu weisen.

Das bestätigt auch Diplom Psychologin Sandra Jankowski der Deutschen Welle: "In einer aufgeräumten Wohnung fühlen wir uns automatisch sicherer und wohler. Wenn die Wohnung hingegen unordentlich ist, dann kann das ein inneres Gefühl von Stress verstärken“. Dass Putzen der Psyche gut tut, wurde mittlerweile von einigen Studien attestiert. Ebenso, dass man sich in einem sauberen und aufgeräumten Arbeitsumfeld besser konzentrieren kann.

Wenn man aber übers Putzen und seine Vorteile redet, dann sollte man auch seine schmutzigen (höhö) Seiten nicht ignorieren. Und nein, ich spreche nicht von dem fiesesten allen Schmutzes: Staub in Verbindung mit Küchenfett, sondern von der Gender Care Gap. Denn auch und vor allem Putzen gehört neben der Pflege von Kindern und anderen Angehörigen bis heute meistens zu jenen Aufgaben, die in heterosexuellen Beziehungen implizit vor allem der Frau zugesprochen werden – unbezahlt versteht sich.

Und auch jene bezahlten Putz-Jobs sind häufig illegal und schlecht bezahlt ohne Kranken- und Sozialversicherung. Das kann und darf nicht unerwähnt bleiben. Natürlich ist gegen eine Putzkraft grundsätzlich nichts einzuwenden, wenn man sie fair behandelt, bezahlt und ausstattet. Denn auch darüber sollte man sprechen: Viele 100 % Keimfrei Seifen und Mittelchen sind problematisch nicht nur für deren Nutzer:innen, sondern auch für unsere Umwelt.

Putzen jedenfalls ist eine schwere körperliche Arbeit, die oft nicht wirklich als Arbeit anerkannt wird, wie Sonja Stummerer, Teil des Wiener Künstler-Duos Honey & Bunny in einem Interview mit dem WDR erklärt. Das Duo setzt sie sich seit Jahrzehnten mit unterschiedlichen kulturellen Phänomenen auseinander. In ihrem aktuellen Bildband nun mit dem Putzen als Kulturtechnik. „Da steckt ne Menge Politik im Putzen, ne Menge Gesellschaft, ne Menge Kultur“, erklärt Martin Hablesreiter, der zweite im Bunde Honey & Bunny.

Gut, dass es mal jemand macht, denn ich frage mich: Warum wird dem Putzen im Handwerksrevival und Zeiten von DIY, Selberkochen und Gemüse ziehen auf dem Balkon noch keine eigene Sendung oder ein Lifestyle-Magazin gewidmet? Zu wenig Projektionsfläche zur Selbstdarstellung vielleicht? Schließlich sieht man das Putzen nur, wenn man es nicht tut.

Dabei stelle ich mir eine Pop-Up-Putz-Party durch Berlin Mitte eigentlich ganz witzig vor. Laute Musik gehört beim Putzen jedenfalls immer mit dazu (und sogar die Mund-Nasen-Maske wirkt vielleicht nicht mal fehl am Platz). Oder wie wäre es mit Achtsamkeits- und Meditations-Putzen – immerhin kann es kein Zufall sein, dass der Frühjahrsputz mit der Fastenzeit zusammenfällt. Na, wenn Sie mich suchen: Ich höre laut Musik und putze meine doppelt-verglasten Altbau-Fenster.

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