EnglishThis content is
not available in
english
Menü

Das gemeinsame Mahl Oder Warum wir Essen, wenn wir Feiern

Mittwoch, 23. Dezember 2020

Hochzeit, Leichenschmaus und natürlich Weihnachten & Silvester – hat der Mensch etwas zu feiern oder zu beklagen, so trifft er sich zum Essen. Vermutlich schon seitdem es ihn gibt. Warum dem so ist, stellt Soziologe Georg Simmel fest: "Von allem […], was den Menschen gemeinsam ist, ist das Gemeinsamste: dass sie essen und trinken müssen". Es ist einfach naheliegend, dieses Grundbedürfnis miteinander zu teilen.

Gerade weil das Essen etwas so simples und lebensnotwendiges ist, habe das gemeinsame Essen laut Simmel eine derart große soziale Bedeutung inne. Über Theaterinszenierungen kann nicht jede*r sinnieren, bei Musik scheiden sich die Geister, aber auf Essen und Trinken können wir uns nun wirklich alle einigen. Gemeinsames Essen ist nicht nur die ursprünglichste soziale Situation in der Geschichte des Menschen, sie ist auch eine der erste sozialen Interaktionen, die ein Kind etwa durchs Stillen erlebt.

Die gemeinsam bei Tisch verbrachte Zeit soll die Sprachentwicklung von Kindern und Jugendlichen begünstigen, sie haben laut Studien sogar weniger psychische Schwierigkeiten und nehmen seltener Tabak, Alkohol und andere Drogen zu sich. Nun weiß man natürlich nicht genau, ob das an den gemeinsamen Mahlzeiten liegt, oder nur daran, dass in stabileren Familienkonstellationen auch häufiger gemeinsam gegessen wird.

Aber klar ist, dass der Mensch am allerliebsten während des Essens kommuniziert. Unsere Wahrnehmung fremder Emotionen wird feiner und wir selbst fühlen uns entspannter. Laut einer Studie der Cornell University verbessert sich sogar die Zusammenarbeit unter Kollegen, wenn sie gemeinsam Mittag essen.

Dabei ist Essen eigentlich super egoistisch. Denn Simmel stellt fest: "was ich denke, kann ich andere wissen lassen; […] was ich rede, können Hunderte hören - aber was der Einzelne isst, kann unter keinen Umständen ein anderer essen." Und doch schaffen Menschen ständig Anlässe, um miteinander zu essen – denn das gemeinsame Mahl ist immer auch ein Anlass miteinander zu kommunizieren, wie Essens-Soziologin Eva Barlösius konstatiert.

Nicht nur ein nettes Tischgespräch ist dabei das Ziel – Man prüfe auch den Habitus des Gegenübers und gleicht ihn gegenseitig ab. Denn was und wie wir konkret essen und trinken, unterscheidet sich je nach Region, Kultur und Epoche. Das ist nämlich, wie Kristina Greißl erklärt, nicht biologisch, sondern in erster Linie soziokulturell geprägt. Das gemeinsame Mahl prägt die kulturelle Identitätsbildung durch Tischgespräche, präferierte Gerichte oder wie die Gabel gehalten wird – und ob es überhaupt eine Gabel gibt.

Schließlich ist das Verteilen von Essen geradezu sinnbildlich für das Aufgehen des Menschen in sozialen Verhältnissen. Immerhin wird dadurch ein Kampf um die Nahrung vermieden, Schwächeren wird ihr "Stück vom Kuchen" zugebilligt. Auf der einen Seite stärkt und festigt das Verteilen das soziale Zusammengehörigkeitsgefühl – man beißt nicht in die Hand, die einen füttert – auf der anderen Seite festigt es aber auch hierarchische Regeln.

Und so geht Baudy, noch so ein Soziologe, sogar davon aus, dass "die Tischordnung" das "Urmodell der Kultur schlechthin" ist und „das soziale Gefüge zusammen mit der Distribution der Nahrung entstanden“ ist. Ein spannender Gedanke, wenn man an das klassische Bild des (zumeist männlichen) Oberhaupts oder Königs am Kopfende denkt. Eine Tischhierarchie, die in gleichheitlichen Gesellschaften an Bedeutung verliert – und doch etabliert sich in vielen Familien bei Tisch in der Regel so etwas wie ein Stammplatz.

Auch in diversen Religionen nimmt das gemeinsame Mahl einen wichtigen Raum ein. Von antiken Opferfesten zum Letzten Abendmahl wurden Gott und Götter durch gemeinsames Speisen gehuldigt. Häufig übrigens ist die Frau bei großen Festmahlen der Griechen, Ritter und Germanen nicht dabei, schließlich ist das Essen und Weintrinken ein Akt der Verbrüderung untereinander und der Verbindung mit Gott.

Das gemeinsame Mahl fungiert als Stätte geistigen Austauschs inklusive mannigfacher Rituale und feierlicher Symbolik. Bis heute ist das gemeinsame Essen von individuellen Ritualen und gesellschaftlicher Symbolik geprägt. Ob gemeinsame Schüssel in der Tischmitte, rauschende Renaissance-Feste oder künstlerisch angerichtete individuelle Teller; die soziale Komponente des gemeinsamen Mahl hat in ihrer Wichtigkeit nichts eingebüßt.

Und tatsächlich geht es ja zur gemeinsamen Schüssel zurück – zum Essen im "familystyle" oder zu "Shared Meals". Sei es das Essen aus einer Schüssel mit der Hand, das Pflanzen eigener Tomaten oder das Zubereiten eines Gänsebratens, bei dem man die Gans vorher selbst ausgesucht hat. Man könnte fast meinen, je individualisierter und technologischer unsere Gesellschaft wird, desto mehr sehnt sie sich nach "echten" Erfahrungen – auch beim gemeinsamen Essen. Denn: Gegessen und getrunken wird immer! 

Weitere interessante Artikel
Creme Guides
Karte
Reset Map