Der Maler und Autor Thomas Platt zählt zur Elite der deutschen Restaurantkritik und veröffentlicht regelmäßig Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, dem Berliner Tagesspiegel sowie diversen Magazinen wie der Effilee oder dem Londoner Four. Er malt und zeichnet, schreibt Bücher, darunter auch Drehbücher und ist regelmäßig im Radio zu hören.
Ich lernte Thomas Platt Ende der 90er Jahre kennen, als er gerade an dem Buch "Geheimtipps – Einzelstücke zum Einkaufen in Berlin" für die Berliner Zeitung arbeitete. Er machte damals also genau das, was ich heute selbst leidenschaftlich gerne mache: schöne Orte zusammentragen.
Vor etwa vier Jahren trafen wir uns wieder und begegnen uns seither regelmäßig auf Veranstaltungen oder einer seiner kulinarischen Tests für den Tagesspiegel und die Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Nun wurde es Zeit für ein Interview mit dem kreativen Kopf und wahren Kenner der Stadt...
Wir treffen uns im Manzini, einer Mischung aus Pariser Bistro und Wiener Kaffeehaus in der Ludwigkirchstraße in Wilmersdorf. Thomas Platt ist eine Erscheinung. Immer etwas wild um den Kopf und lässig gekleidet. Im Schlepptau seine Hündin Emma. Er bestellt Grünen Tee. Sencha! Wie immer.
Seine Kindheit und Jugend verbringt Thomas Platt in Eberbach am Neckar. Als Sohn einer Unternehmerfamilie, die seit 1849 Polstermaterialien sowie Pinsel- und Besenhaare verarbeitet. Dass er und seine beiden Brüder ihre Kindheit überlebt haben, sei im Grunde ein Wunder, so Platt: "All die Chemikalien und Maschinen waren damals völlig ungesichert und wir Kinder immer mittendrin."
Später verdient er im elterlichen Betrieb sein erstes Geld. Er macht Abitur und absolviert seinen Zivildienst am Heidelberger Uni-Klinikum. Aus Ratlosigkeit entschließt er sich zu einem Germanistikstudium in Berlin. Gelesen hatte er schon immer gerne. Nebenbei jobbt er als Bierfahrer und als Bühnenarbeiter an der Schaubühne am Halleschen Ufer.
Nach dem Abschluss geht er zunächst als Korrektor zum Wagenbach Verlag, später in die Werbung. Er beginnt mit dem Verfassen von "Fake-Depeschen", einer Form der Aktionskunst. Diese münden 1981 in der „Edition Sual“, dem fiktiven Buchprogramm einer ebenso fiktiven Kooperation des Suhrkamp-Verlages mit der Vertriebsfirma Aldi, die Platt gemeinsam mit dem späteren Die Welt-Herausgeber Thomas Schmid erstellt und die auf der Frankfurter Buchmesse für großes Aufsehen sorgt.
Der erste "Berlin-Verführer" für Restaurants erscheint im Nicolai Verlag. Es folgen Ausgaben für Bars und Geschäfte. Unmittelbar nach dem Mauerfall integriert die Neuauflage des „Geheimen Berlinverführers" als erster Führer überhaupt die wichtigsten Lokale von Ost-Berlin. Auch dort kennt Platt sich ein wenig aus, trifft er sich dort doch regelmäßig mit Freunden aus der West-Berliner Musikszene zum Fußballspielen gegen ein Ost-Team.
Er intensiviert die journalistische Arbeit über Essen und Trinken sowie Kunst- und Kulturgeschichte. Für die Berliner Zeitung baut er das Gastro-Ressort auf, entwickelt für den Tagesspiegel Lebensmitteltests und schreibt für die FAZ und später die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Restaurantkritiken.
Thomas Platt verfasst zahlreiche Drehbücher für Film- und TV-Produktionen, die zumeist ein Millionenpublikum erreichen. Darunter auch Kinderfilme wie Benjamin Blümchen und 1994 "Asterix in Amerika". Gemeinsam mit dem Cartoonisten Brösel reist er durch Schleswig-Holstein und schreibt mit ihm die Drehbücher zu den populären Werner Filmen.
In Zusammenarbeit mit Julius Grützke entstehen Anfang der 90er Jahre der große Rowohlt-Führer Berlin im Griff sowie der Briefroman Liebe Mieter und Untermieter! Für die TV-Serie "Hausmeister Krause – Ordnung muss sein" mit Tom Gerhardt in der Hauptrolle entwickeln beide gemeinsam die schrägen Geschichten, die maßgeblich zum Erfolg der Serie beitragen.
Als "Der Kritikator" hat er Fernsehauftritte im NDR und ist seit zehn Jahren als Restaurantkritiker im Berliner Kulturradio zu hören. Hauptsächlich aber zeichnet und malt er. Oft wie besessen. Schon in früher Kindheit habe er "manisch" zu kritzeln begonnen, erzählt er und gesteht, dass ihm die Malerei und andere künstlerische Prozesse bis heute helfen, sich zu ordnen und Beobachtungen zu binden.
Dabei entdeckt er immer wieder neue stilistische Mittel und bleibt einem Thema selten lange treu. Am 27. April eröffnet seine nächste Ausstellung "Nette Versuche". Diesmal mit Professor Stephan Porombka von der UdK Berlin in der Galerie Gesellschaft in der Auguststraße in Mitte.
Bevor er sich wieder auf den Weg zur jüngst erworbenen Druckmaschine macht — dieses Mal werden auch Radierungen ausgestellt — verrät er mir jedoch noch rasch seine zehn Lieblingsorte...
Tipp. Zu den Details der einzelnen Orte gelangen Sie über das Anklicken der orange markierten Namen!
Manzini. Nicht ohne Grund haben wir uns an diesem Ort getroffen. Denn obwohl Thomas Platt seinen alten Kiez rund um die Sächsische Straße mittlerweile verlassen hat, ist das Restaurant-Café noch immer eine regelmäßige Anlaufstelle für ihn. Einst von den Andraschkos, den Mitbegründern des Café Einstein eröffnet, gefalle ihm vor allem das noch immer stimmige, zeitlose Interieur. Inklusive der Kellner in Livree. Sein kulinarischer Tipp: das Club Sandwich nach dem Originalrezept von Harrys New York Bar!
Chi Chi Kan. Bei dem Chinesen in der Goltzstraße in Schöneberg esse er wirklich häufig. Er habe noch nie besonders viel Fleisch gegessen und esse auch gerne Tofu, weshalb Gemüse-Gerichte bei ihm immer hoch im Kurs stehen. So wie die unschlagbar guten geschmorten Auberginen mit süßer Sojasoße und Ingwer, die hier serviert werden.
Dadjiale. Zu diesem Chinesen gehe er häufig mit einer gebürtigen Chinesin, die ihm bestätigt habe, dass dieser Ort tatsächlich dem eines mittelständigen Restaurants in China entspreche. Das Essen sei also nicht nur ganz besonders gut, sondern vor allem auch sehr authentisch und auf eine hierzulande unbekannte, nämlich nordchinesische Weise deftig.
Prometeo. Thomas Platts Lieblingspizzeria! Ein Freund habe ihn vor einem Jahr in das etwas abseits gelegene Restaurant gebracht, weil die Pizza dort ebenso gut schmeckt, wie in der berühmten L'Antica Pizzeria da Michele in Neapel. Allerdings gebe es neben der Pizza auch viele weitere tolle Gerichte, wie Frittura – italienische Tempura – oder Artischocken alla romana.
Belle Rebelle. In der Parfümerie in der Bleibtreustraße kaufe er regelmäßig einen Duft von Orto Parisi. Den habe ihm Judith Milberg, die Frau von seinem Schauspieler-Freund Axel Milberg, empfohlen. "Auf den werde ich ständig angesprochen", erzählt er. Das Sortiment sei aber auch sonst einfach einzigartig und sehr exklusiv!
Vinh Loi. Der Asialaden am Wittenbergplatz sei einer der größten der Stadt. Vor allem habe er eine tolle japanische Abteilung, in der er häufig einkaufe. Auch Tofu und Reisbandnudeln gebe es hier in großer Auswahl. Im Übrigen gibt es eine immer größer werdende Abteilung mit exotischem Gemüse und eine ganze Wand mit japanischen Lebensmitteln.
Enoteca Blanck & Weber. Die auf italienische Weine spezialisierte Weinhandlung in Wilmersdorf gehöre Freunden, mit denen er in den 80er Jahren zusammengewohnt habe. Das Sortiment sei "glänzend" und die beiden würden auf angenehme Weise in einer "normalen Sprache" ohne überflüssigen Fachjargon empfehlen. Als Kind habe er seine Ferien immer am Gardasee verbracht. Dort sei auch seine Affinität für italienische Weine entstanden.
Winterfeld Markt. Hier kaufe er nicht nur sein Lieblings-Olivenöl von Skarvelis, auch der Allgäuer Käsestand, den der Schauspieler Dietmar Bär ihm mal empfohlen hat, sei hervorragend. Dort kaufe er Butter und Schafmilchkäse. Eine der besten Marmeladen Berlins gebe es bei der Marmeladenfrau. "Vor allem die Birne ist unschlagbar" schwärmt Platt. "Die löffle ich ohne Brot direkt aus dem Glas." Am von einem klugen Ungarn betriebenen Marktstand direkt daneben gebe es auch seltenere Gemüsesorten wie Topinambur oder kleine italienische Artischocken. Dort kaufe er auch gerne ein außergewöhnliches Paprikapulver.
Schokogalerie. Die Confiserie in Mitte bietet die in Berlin seltene Marke Clement an, die ausschließlich die Kuvertüre von Felchlin verwendet, seiner Meinung nach eine der besten weltweit. Überhaupt würde das Mutter-Tochter-Gespann den Laden mit ganzem Herzen betreiben und stets eine sehr liebevolle Auswahl treffen. Hier lege man sich bei der Beratung noch richtig ins Zeug.
Tulus Lotrek. Das Restaurant sei eines der wenigen, das ihn als Kritiker immer wieder überrascht. Chefkoch Maximilian Strohe betreibe seine avantgardistische Küche nicht ideologisch, schon gar nicht „neo-spartanisch“. Er habe nie in der Sternegastronomie gearbeitet, entstamme keiner "Schule" und sei im besten Sinne des Wortes Autodidakt. Seine überraschenden Kombinationen hätten eine ganz eigene Form des Selbstausdrucks und sein "eigenwilliges Denken" übertrage sich auf einzigartige Weise auf den Gast. "Ein Koch wie vom Mond gefallen" schwärmt Platt inbrünstig. "High Grunge Cuisine."