Christoph Amend macht ungern Aufhebens um seine Person, das spüren wir, die Fotografin Simone Hawlisch und ich, sofort. Entspannt, mit offenem, freundlichen Gesicht präsentiert er sich im Café Einstein Unter den Linden der Kamera. Munter wird die Espressotasse hin und her bewegt, darunter das druckfrische Zeit Magazin dieser Woche platziert. Keine Hektik, kein Stress. Er ist jetzt hier und erst später wieder woanders.
Ganz in der Gegenwart zu sein, darum gehe es doch im Leben, meint der langjährige Chefredakteur des Zeit Magazins später. Um bei der Vielfalt seiner täglichen Begegnungen und Aufgaben nicht die Verbundenheit zu verlieren, geht Christoph Amend beinahe täglich zu Fuß von der Redaktion nach Hause. 50 Minuten, die ganz ihm und dem Resümieren des Tages gehören.
Unter den Linden entlang, vorbei an Brandenburger Tor und Mahnmal, ein Stück durch den Tiergarten hindurch, weiter zur Philharmonie und der Neuen Nationalgalerie ist der Weg für ihn wie eine Meditation. Bis er das Gleisdreieck erreicht hört er dabei bisweilen auch gerne Podcasts, wie den des gebürtigen Kanadiers Malcolm Gladwell: "Revisionist History", eine Art Dokumentation zum Hören, überprüfe die Sichtweise auf Ereignisse der jüngeren Vergangenheit und deren Richtigkeit aus heutiger Sicht.
Reflektiert werde über Themen mit Überschriften wie "The one song The King couldn’t sing", in dem es um die Frage geht, warum Elvis den Song "Are you Lonesome tonight" nie fehlerfrei singen konnte. "Meine bisherige Lieblingsfolge", betont Amend. "Sie hat mich zu Tränen gerührt." Dabei produziert der Wahlberliner, gemeinsam mit seinem Kollegen Jochen Wegner von Zeit Online, auch einen eigenen Podcast. Alles gesagt? heiß der und präsentiert Gäste von Robert Habeck und Katarina Barley, über Herbert Grönemeyer bis zu Uli Wickert und zuletzt Rezo in einem lockeren Interview-Format, dem wiederum wir begeistert folgen.
Und das obwohl der leidenschaftliche Journalist naturgemäß mehr für das geschriebene Wort steht. 1974 in Gießen geboren, wusste Christoph Amend schon sehr früh, dass er Redakteur werden wollte. Ein Artikel, den er während eines Gastaufenthalts in England für eine lokale Jugendzeitung in Playmouth zu der Frage, warum man keine Angst vor einem wiedervereinigten Deutschland haben müsse verfasste, wurde zur Initialzündung.
Er studierte Anglistik und Politische Wissenschaften, wurde zunächst Redakteur und später stellvertretender Redaktionsleiter beim Jugendmagazin Jetzt der Süddeutschen Zeitung und wechselte 1999 als Redakteur für besondere Aufgaben zum Berliner Tagesspiegel, wo er ab 2001 für die Sonntagsbeilage verantwortlich zeichnete.
2004 erhielt er den "Hermann-Hesse-Nachwuchspreis" für sein Buch "Morgen tanzt die ganze Welt", für das der 29-jährige mit berühmten Persönlichkeiten wie Richard von Weizsäcker, Egon Bahr oder Hellmuth Karasek sprach, die als Soldaten im Zweiten Weltkrieg gewesen waren. Den Gesprächen stellte er ein Porträt seiner eigenen Generation gegenüber. 2004 folgte der "Axel-Springer-Preis" für einen Artikel über Michel Friedman.
Noch im selben Jahr wechselte Christoph Amend zur Zeit; wurde zunächst Leiter des Ressorts "Leben" und 2007 Chefredakteur des Zeit Magazins. 2012 entstanden aus Gesprächen mit der Schauspielerin Iris Berben ihre Lebenserinnerungen, die 2012 unter dem Titel "Ein Jahr – ein Leben" erschienen. Nun ist im Herbst sein neuster Band "Deutschland wie geht’s Dir?" herausgekommen, für das er bei Menschen unserer Zeit, von Herbert Grönemeyer und Hellmuth Karaseks Tochter Laura über Jens Spahn und Lena Meyer-Landrut bis zu seinen eigenen Eltern, nach Antworten suchte.
Auf die Frage was er an Berlin besonders liebe antwortet Amend mit dem Zitat "Berlin wird". Der ständige Wandel, das Streben nach Veränderung und die niemals endende Suche nach Neuem seien es, die diese Stadt für ihn so einzigartig machten. Seine aktuellen Lieblingsorte sind ein Mix aus kulturellen und kulinarischen Highlights, die ihn allesamt mit einer persönlichen Geschichte verbinden...
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Park am Gleisdreieck. In weiser Voraussicht hatte Christoph Amend bereits vor Fertigstellung des Parks, eine Wohnung in einem der angrenzenden Altbauten gemietet. Morgens geht er hier joggen, auch dann wenn es schon früh auf Reisen geht. Er mag den bunten Mix an Menschen, der sich insbesondere an den Wochenenden durch die zentrale Lage zwischen den drei Stadtteilen Mitte, Schöneberg und Kreuzberg ergibt. Hier treffe man ältere Ehepaare und spielende Kinder, Patienten aus dem nahliegenden Krankenhaus, die wieder laufen lernten und Sportler, die sich auf den Marathon vorbereiten. "Alle Gesellschaftsschichten kommen hier in einem friedlichen Moment zusammen, um einmal durchzuatmen", schwärmt er.
Hallmann & Klee. Das Café-Restaurant mit seinen fantastischen Abendmenüs sei nicht nur aufgrund der Tatsache, dass es seiner Cousine gehöre und zweifelsfrei "den besten warmgeräucherten Lachs" zum Frühstück serviere einer seiner Lieblingsorte. Ganz besonders habe es ihm auch der großzügige Böhmische Platz direkt vor der Tür angetan: An diversen Tischtennisplatten sei hier immer etwas los. Sogar spät abends, wenn von den umliegenden Straßenlaternen alles hell erleuchtet ist.
Gazzo. Der Geburtstag einer Freundin hat ihn zum erstem Mal in die Kreuzberger Pizzeria gebracht. Zunächst habe er Robert, einen langjährigen Kellner aus dem Grill Royal, wiedergetroffen, der einer der Inhaber ist. "Die Pizza ist fantastisch", betont Amend. "Und besonders das Eis aus Büffelmilch, das hier zum Dessert serviert wird." Leicht irritiert habe er es beim ersten Mal gegessen, weil ihm der dazugehörige Keks so vertraut vorkam. "Es schmeckte irgendwie nach Heimat", erinnert er sich. Später stellte sich heraus warum: das klassische Shortbread wird von einem seiner Lieblingscafés, dem Katies Blue Cat gebacken.
Black Isle Bakery. Auch an diesen Ort brachte ihn eine Freundin. Und zwar vornehmlich, um ihn das "MillionairesShort Bread" der schottischen Inhaberin Ruth Barry kosten zu lassen. Heute bezeichnet er dies als "das beste Twix der Welt“. Völlig zurecht, ist der bekannte Schokoriegel doch tatsächlich eine industrielle Version des traditionellen Gebäcks aus Schottland; einem klassischen Shortbread vereint mit einer Schicht Karamel gefolgt von einer dicken Lage Schokolade. "Leider ist auch alles andere sehr gut", lacht er.
Neue Nationalgalerie. Beinahe täglich komme er an dem Bau vorbei, den Mies van der Rohe ursprünglich als Berliner Firmensitz für einen renommierten, amerikanischen Spirituosen-Hersteller entworfen hatte. Als in den 50er Jahren die Anfrage vom Land Berlin zum Bau einer neuen Nationalgalerie kam, holte er den Plan wieder hervor. Christoph Amend verbindet mit dem Gebäude auch die Abschiedskonzerte der Band Kraftwerk, für die er von Bandmitglied Ralf Hütter persönlich Eintrittskarten zu allen acht Veranstaltungen erhalten hatte. Jeden einzelnen Abend sei er dort gewesen und habe dabei sogar einen Blick hinter die Kulissen werfen dürfen. "Die mit weißen Tüchern abgedeckten Roboter im Halbdunkel werde ich nie vergessen", erinnert er sich.
Kolbe Museum. "Das Museum ist ein besonderer Ort", schwärmt Amend. Neben der Kunst sei das gesamte Ambiente einfach einzigartig. Das Atelier, in dem sich heute ein sehr nettes Café befindet, hat der Künstler selbst gebaut. Hier sitze man auf kleinen Holzstühlen an kleinen Tischen, um die hausgebackenen Kuchen zu genießen. "Wie bei Oma." Noch heute könne man sich vorstellen, wie Georg Kolbe sich hier zwischen Garten, Wohnhaus und Atelier bewegt hat.
JonnyCut. Als Christoph Amend vor bald zwanzig Jahren nach Berlin zog und im Zuge dessen einen neuen Friseur in Kreuzberg suchte, wo er damals wohnte, empfahl ihm ein Freund den Fotografen und Maler Jonny Soares. Als langjähriger Stylist von Nena, mit der er sogar einen Song schrieb, vereint der in seinem kunterbunten Salon in Kreuzberg bis heute eine kreative Szene, die sich von ihm die Haare schneiden lässt. "Seit 20 Jahren bin ich bei Jonny", sinniert der 45-jährige. "Wir erzählen uns gegenseitig aus unseren Leben, wenn ich bei ihm bin." Und fügt lächelnd hinzu: "Wir haben am selben Tag Geburtstag."
ebertundweber. Die beiden Inhaberinnen der kleinen Kreuzberger Buchhandlung widmen sich außergewöhnlichen Buchreihen, wie Naturkunden, für die Buchgestalterin und Herausgeberin Judith Schalansky alle zwei Monate ein neues Exemplar produziert und von der Amend ein großer Fan ist. Seit langem möchte er sie dafür gewinnen, einmal eine Ausgabe des Zeit Magazins zu gestalten. "Bisher hatte sie allerdings immer zu viel zu tun", erzählt der Chefredakteur. "Aber ich gebe nicht auf!" Auch sonst habe die Buchhandlung eine exklusive, feine Auswahl.
Schaubühne. Bevor Amend den Schauspieler Lars Eisdinger zum ersten Mal an der Schaubühne spielen sah, hat er ihn vor zehn Jahren in dem Film "Alle anderen" gesehen. Jede der Hauptdarstellerinnen und -darsteller sei toll gewesen, aber Eidinger sei ihm besonders aufgefallen. Mit Kollegen überredete er den Fotografen Juergen Teller, den damals noch wenig bekannten Eidinger für das Zeit Magazin als Hamlet in seinem Wohnzimmer zu porträtieren. "Mein Kollege Andreas Wellnitz hat sogar Hamlet-Erde in die Wohnung getragen", erinnert sich Amend lachend. Die Bilder brachten Lars Eidinger kurz darauf eine Werbekampagne für Marc Jacobs ein. Unter den Inszenierungen der Schaubühne ist neben Eidingers Klassikern wie "Hamlet" auch "Die Ungeduld des Herzens" eines von Amends Lieblingsstücken. Seit Jahren ist es im Programm und hat gerade seine 100. Aufführung gefeiert. "Minimalistisch und emotional, eine seltene Mischung, geschrieben von Stefan Zweig, einem meiner Lieblingsautoren.“
Maybachufer. Hinter der Ankerklause am Ufer des Landwehrkanals sei es trotz des nahen Kreuzberger Trubels wunderschön. Mit einem veganen Donut von Brammibal’s Donuts von gegenüber und einer Flasche Sekt als Proviant könne man da eine großartige Zeit zu zweit verbringen, "man muss nur über die Absperrung klettern."