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Die Ausweichschule von Kaleb Erdmann

Montag, 22. September 2025
Advertorial
Die Ausweichschule
von Kaleb Erdmann
park x ullstein
22 €

Ein Glück, dass dieser Autor gescheitert ist! .... Nehmen wir die Selbstauskünfte im Buch ernst und halten den Erzähler für den Autor, so hat Kaleb Erdmann jahrelang mit diesem Stoff gerungen und keine Form gefunden. Ein Stoff, den Stoff zu nennen eine herbe Fehlformulierung ist. Im April 2002 begeht Robert Steinhäuser am Erfurter Gutenberg-Gymnasium einen Amoklauf und erschießt 16 Menschen. Der damals elfjährige Erzähler des Romans ist Schüler des Gymnasiums. Das ist kein Stoff, sondern ein Lebensthema.

Kaleb Erdmann lässt uns an der Durchwirkung seines Lebens mit einem solch singulären Ereignis teilhaben, an der an Besessenheit grenzenden Beschäftigung mit den eigenen und fremden Erinnerungen, mit der Auseinandersetzung und Aufarbeitung. Erdmann macht hier jedoch keine Wiederaneignung oder Wiederaufbereitung aller bestehenden Quellen, sondern zeigt uns seine Recherche, seine Suche nach einer Art und Weise, sich diesem Erlebnis zu nähern, es darzustellen.

Dafür erfindet Erdmann keine unterhaltende Erzählform, wie es klassische Romane oft anbieten, sondern erzählt in größter Freiheit von seinen Wegen und Gedanken rund um den Amoklauf. Wie er beispielsweise in einer Theateraufführung zum Thema zu schwitzen beginnt und völlig die Orientierung verliert oder wie ihm bei einem eskalierenden Gespräch Nachts vor einer Kneipe die Nase gebrochen wird.

Neben die Schweigeminute und die dazugehörige turnusmäßige Erinnerung an die Opfer, neben Untersuchungsberichte und Tathergangsrekonstruktionen, neben Trauma- und Trauerarbeit treten in diesem lockeren, manchmal sogar heiteren Roman persönliche Geschichten des Autors während der Recherche. Diese treten nicht mit dem Amoklauf in Konkurrenz, sondern rahmen das lebenslange Ringen mit Leben und Tat Robert Steinhäusers.  

All die heutzutage zum Spektrum der Erinnerungsarbeit und Aufarbeitungsliteratur zugehörigen Register zieht Erdmann – und findet doch eine überraschend leichte Form für ein bleischweres Thema.

Aufarbeitung bekommt hier eine spezifisch literarische Qualität. Das ist eindringlich zu lesen, tastend im Zweifel und sicher in den Formulierungen. "Die Ausweichschule" ist Zeitgeschichte und Zeitgeist in einem, selten ist man einem Erzähler in seiner Wahrhaftigkeit so nah gekommen. In diesem Buch steckt eine behutsame Besessenheit.

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