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Abschied von den Boomern von Heinz Bude

Dienstag, 25. Juni 2024
Advertorial
Abschied von den Boomern
von Heinz Bude
Carl Hanser Verlag
.
22 €

Ein Buch über die Generation der Boomer, eine der größten Zielgruppen des Landes, die noch dazu recht gut mit Zeit und Geld ausgestattet ist? – Klingt nach Geschäftssinn. Ein schmales, schnelles Buch über ein gesamtgesellschaftliches Phänomen? – Klingt nach Oberflächlichkeit. Ein Blick zurück in zentrale Lebensphasen und Prägungen? – Klingt nach verklärender Nostalgie. 

Um es gleich vorweg zu nehmen: All diese vielleicht sogar auf Erfahrung basierenden Vorurteile der Oberflächlichkeit und eines kalkulierten, schnellen Geschäfts mögen von Außen betrachtet berechtigt sein, sobald man aber zu lesen beginnt, lösen sie sich auf. Schon nach einer halben Seite ist man von der Stringenz der Argumentation gefangen, knüpft man das Netz der Verweise mit, lässt man sich mitnehmen in die weit ausgreifende Komplexität der Betrachtungsweise. 

Heinz Bude ist einer der profiliertesten Jahrgangssoziologen Deutschlands. Mit "Abschied von den Boomern" setzt er eine lose Reihe der Generationenportraits fort, nach „Generation Berlin" und „Adorno für Ruinenkinder" portraitiert er also nun eine Generation, der er fast selbst angehört. Und dieses Portrait ist den politischen Gegebenheiten nach zwangsläufig ein Doppelportrait: „Auf beiden Seiten der Mauer nahmen die Boomer hin, was nicht zu ändern war. Im Osten glaubten sie weder an den Sozialismus noch an seinen Untergang, im Westen weder an den Kapitalismus noch an dessen Überwindung."

Hier geht es also genauso um Christa Wolf wie um Peter Handke, es wird genauso Gundermann zitiert wie James Last, es geht um Aids und Tschernobyl, um Brokdorf und die Mauer. Bude ist nicht auf der Suche nach Einzelschicksalen, sondern versucht eine Kollektivgestalt zu markieren. „Sie waren einfach immer zu viele. Aus dieser Erfahrung rührt eine gewisse Skepsis gegenüber großen Erwartungen. Man verlässt sich besser auf sich selbst als auf die anderen, die einen doch nur vor den eigenen Wagen spannen wollen.

Die Boomer trauen sich was (weil sie den Pop in der Musik, in der Literatur oder als Haltung inhaliert hatten), können schlauer lesen (weil sie behaupten konnten, dass Peter Handke ihnen mehr sagt als Theodor Storm) und schlauer reden (weil sie sich das kritische Vokabular der Achtundsechziger angeeignet hatten), aber sie lassen sich nicht so leicht verführen, mit einer neuen Zeit zu ziehen."

Gelegentlich streut Heinz Bude autobiographische Beispiele ein, nicht zuletzt bei den Hausbesetzungen im Westberlin der 1980er Jahre könnte man ihn als Minnesänger der Szene feiern, doch glücklicherweise bleiben diese Griffe ins eigene Album Beispiele, Möglichkeit unter Möglichkeiten. Bude gelingt der Spagat des Essayschreibens meisterhaft: anschaulich zu schreiben und trotzdem den Horizont der Argumentation nicht aus den Augen zu verlieren.

Zwar ist Bude die Alltagsverortung sehr wichtig – Generationengenossen wird der Essay mit Sicherheit zur Erinnerungsjukebox werden. Doch bei aller Leichtigkeit diktiert Bude sich und seiner Generation eine vielleicht letzte große Aufgabe: „Die Boomer haben es also in der Hand, wie die Bundesrepublik nach 1989 Teil der deutschen Geschichte wird und welche Traditionen der normalisierten Nation daraus erwachsen."

Will heißen: „Boomer-Ost und Boomer-West haben keine gemeinsame Geschichte", aber das heißt noch lange nicht, dass sie sich auf ihren ungleichen Vergangenheiten ausruhen und die Zukunft den Nachgeborenen überlassen können. Den "Turnschuhrentnern" schreibt Bude eine gewichtige Aufgabe ins Heft: Vergesst die vererbten Konflikte der Vorfahren, kommt zueinander, unterhaltet euch, findet Gemeinsamkeiten. Für ein solches Gespräch bietet Bude mannigfach Impulse an.

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