Dienstag bis Samstag 18-24 Uhr
100/200 Kitchen
Brandshofer Deich 68
20539 Hamburg-Hafencity
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Der Name: erklärungsbedürftig. Die Location: irgendwo im Off zwischen Elbbrücken und Billhafen. Gehört natürlich alles zum Konzept im Restaurant 100/200, das Thomas Imbusch im Sommer 2018 in Rothenburgsort eröffnet hat.
Wir drücken auf den Klingelknopf an dem alten Lagergebäude aus Backstein und fahren mit dem Aufzug in die zweite Etage. Außer dem Schild an der Fassade deutet von außen nichts auf ein Restaurant hin. Was aber noch viel ungewöhnlicher ist als die Location: Für den Besuch im 100/200 kauft man vorab online ein Ticket. Und das, ohne zu wissen, was es genau zu essen geben wird.
Klingt verrückt? Irgendwie schon. Andererseits wissen wir ziemlich viel darüber, was heute Abend auf uns zukommen wird. Thomas Imbusch, zuvor in Tim Mälzers Off Club als Küchenchef tätig, wurde für sein neues Restaurant Anfang 2019 mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Im 100/200 gilt das Nose-to-tail-Prinzip, das heißt, Tiere werden von Kopf bis Fuss verwendet. Die Überschrift des Menüs ist bekannt, aktuell lautet sie "Wasser und Salz". Unter diesem Motto erwarten uns, so steht es auf der Website, 5 bis 25 Gänge.
Wir starten mit einem Apéritif auf der Galerie, von der wir das Restaurant überblicken können. Herzstück ist ein imposanter Molteni-Herd, der indirekt Namensgeber des 100/200 ist: Bei 100 Grad kocht Wasser, der Ofen läuft auf 200 Grad – für Thomas Imbusch die Basis für "Essen, Emotionen und Ekstase".
Bevor wir Platz nehmen, werden wir an den Küchenblock gebeten, wo wir zur Einstimmung Kleinigkeiten in jeder der fünf Geschmacksrichtung bekommen. Den Auftakt macht ein Lavendelbaiser mit Roscoff-Zwiebeln und Honiggelee (süß!), darauf folgt ein Tartelette mit Rhabarber, Kefir und Lachsrogen (sauer!), eine irische Felsenauster mit italienischem Rückenspeck, Kimchi und Mayonnaise (salzig), eine kandierte Olive, gefüllt mit geschmortem Chicoree und Albedo (bitter!) und Parmesanbrühe mit Haselnussöl (umami!). Umami ist übrigens das japanische Wort für "Wohlgeschmack" – ein Begriff, der diesen außergewöhnlichen kulinarischen ersten Akt perfekt zusammenfasst.
Am Tisch geht es weiter mit hausgebackenem Brot und Joghurtbutter – so gut, dass wir Gefahr laufen, uns an dieser köstlichen Knusprigkeit satt zu essen. Sommelière Sophie Lehmann serviert uns den passenden Wein und parliert so unangestrengt charmant über dessen Herkunft und Geschichte, dass sich sowohl Weinkenner als auch Gelegenheits-Weintrinker gut abgeholt fühlen.
Von unserem Platz aus können wir quasi in die Töpfe des 100/200 gucken und verfolgen fasziniert das Geschehen. Geht es in Restaurantküchen normalerweise laut und hektisch zu, läuft hier jeder Handgriff so ruhig und sanft, dass das Zuschauen zu einer Art Meditation wird.
Der erste Gang trägt die Überschrift "Althergebrachtes". Die Komposition aus Brot, fermentierten Austernpilzen und einem Hauch von Kaffee und Zitrone begeistert auf ganzer Linie.
Es folgen zwei Gänge vom Hecht, der erste mit Mandel und Grünkohl, der zweite in Form von Hechtklößen mit Sauce vom Vin Jaune, mariniertem Chicoree und Kaviar. Wir freuen uns über erneute Geschmacksexplosionen – und über die angenehm kleinen Portionen. Vielleicht doch noch ein Stück von dem unfassbar leckeren Brot…?
Als nächstes erwarten uns zwei Gänge vom Stör: Nummer 1 nach japanischer Art in einem Lack aus Sojasauce und Mirin geschmort, mit roter Beete, Kartoffelpüree und frittiertem Grünkohl, Nummer 2 das im Fonds aus Pilzen und Zwiebeln geschmorte Filet mit Champignons in einer Sauce aus Kombuchatee und brauner Butter – jeder für sich ein geschmackliches wie optisches kleines Kunstwerk.
Das süße Finale stammt aus der hauseigenen Patisserie unter der Regie von Souschef Mario Michaelis. Er präsentiert uns Milcheis auf einem frisch getoasteten Brioche, gefolgt von einem knusprigen Macaron und, danach ist dann aber wirklich Schluss: getourte lauwarme Brioche mit Vanille-Sahne und Rhabarber. Wir genießen schweigend und würden uns danach am liebsten schnurrend vor dem Molteni-Ofen zusammenrollen.
Zum Abschluss bekommen wir eine versiegelte Menükarte überreicht, als Erinnerung an einen in jeder Hinsicht einzigartigen Abend. Das 100/200 zelebriert großes Genuss-Kino, das jegliches weitere Entertainment vollkommen überflüssig macht.