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Der Kaiser der Freude von Ocean Vuong

Donnerstag, 15. Mai 2025
Advertorial
Der Kaiser der Freude
von Ocean Vuong
Carl Hanser Verlag
.
27 €

Es hätte keinen besseren Zeitpunkt für die Veröffentlichung dieses Romans geben können als diesen. Jetzt Literatur? fragen sich vielleicht einige. Jetzt, wo die weltpolitischen Disruptionen auch in jedem einzelnen Leben anzukommen beginnen, wo gesellschaftliche Gräben tiefer, wo Verständigung und Konsens zu Worthülsen geworden sind? Uns jetzt zurückziehen, die Newsapps ausstellen und langsam und genüsslich lesen?

Ja. Langsam genießen, dem Rhythmus nachspüren, die Geschichte an sich heranlassen. Einen solchen Gemeinplatz könnte man sicherlich jedem Roman andichten, doch den neuen des Shootingstars Ocean Vuong trifft dieser Aufmerksamkeitsfokus am klarsten. Denn dieser Roman ist eine Aufgabe.

Der queere Hai, Sohn einer vietnamesischen Mutter, lebt in einem heruntergekommenen Kaff in New England. Auf den Straßen hängen noch die »Yes, we can«-Behauptungen der Obama-Kampagne (er ist in der Erzählzeit noch der Präsident), doch Hai schluckt Pillen und denkt an Selbstmord. Bis er Grazina aus Litauen kennenlernt, eine Überlebende des Zweiten Weltkriegs, in deren Kopf die unerlösten Geister ihres Lebens schwirren, die allerdings auf andere Art ebenfalls eine Verlorene ist.

Hai zieht bei ihr ein und es entsteht eine fragile, aber zuverlässige Wohngemeinschaft. Es gab ja schon viele Beziehungen in der Literaturgeschichte, doch eine solche Feier des Brüchigen gab es noch nie! Nebenbei jobbt Hai in einem Diner, dessen Belegschaft alles Underdogs sind wie er, die »in dieser angeblich freien Welt aus Arbeit, Schlaf und beschissenen Kuchen gefangen sind.« Der Diner, die Peripherie, die Verlorenheit – dieser Roman könnte von einer trostlosen Düsternis getragen sein, wäre da nicht Ocean Vuongs Würde  und respektvoller Blick auf seine Figuren.

So wie Hai eines Abends bei seiner Mutter klingeln möchte und sie zufällig von Draußen durchs Fenster beobachtet. Er sieht wie sie allein in Freude ist, wie sie gelöst und in Selbstsicherheit einen Abend verbringt – und traut sich nicht zu klingeln, weil er seiner Mutter seit Jahren ein akademisches Leben in Boston vortäuscht und nun die Furcht hat, diese schwebende Zufriedenheit, diesen Kaisermoment der Freude zu beenden.

Solchen Szenen der kleinen Begegnungen und Intimitäten sind es, die diesen Roman unersetzlich machen. Was wir so sehr von dieser Literatur lernen können, ist dieser unvoreingenommene, wohlgesonnene Blick auf andere. Zwar ist noch viel mehr anderes in dieser Geschichte enthalten, was „Der Kaiser der Freude“ zu DEM Gegenwartsroman schlechthin macht, entscheidend ist jedoch allein seine Menschenfreundlichkeit.

Zum Abschluss eine zitierte Szene, die dazu einlädt, alle auf einem betonierten Hinterhof rauchenden Kollegen zukünftig anders anzuschauen: »Russki wandte den Blick ab und rauchte seine Zigarette vollends herunter. Hai beobachtete ihn, ohne dass der andere es merkte. Sein Gesicht war eingefallen und glänzte von der schweißtreibenden Arbeit des Tages, was in Hai den Wunsch weckte, ihm die Stirn sauber zu wischen und mit den Lippen seinen Nacken zu berühren.

Der Junge war nicht schön. In diesem sanften, dämmerigen Licht nicht einmal hübsch. Es lag nur daran, dass sie gleichaltrig waren und dass sie hier arbeiteten, dass ihre Schultern sich während der dampfenden, mühsamen Stunden berührten, an den Zigaretten, die sie auf diesem Grundstück hin- und hergehen ließen, und daran, wie sich der Geschmack des Filters änderte: feuchtglatt und etwas süßlicher von dem blauen Gatorade, das Russki während seiner Schicht trank.

War Kameradschaft ein ausreichender Grund für den Wunsch, einen Jungen mit kaputtem Gesicht mit dem Mund zu berühren, ihn trotz seiner unerkennbaren Schönheit irgendwie vollkommener zu finden, schlicht aufgrund des Bandes gemeinsamer Arbeit, des Geruchs seiner Achselhöhlen, der durch sein Arbeitspolohemd schlug, dieses knoblauchhaltigen, essigsauren Geruchs nach Mensch, der die Wirkung des Drugstore-Deos zunichtemachte, das er verwendete, um zu verbergen, was darunter war? Ja, machte sich Hai jetzt klar – das war ein ausreichender Grund.«

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