Die weltweit gefeierte Konzertpianistin Elsa M. Anderson verlässt eines Tages mitten im 2. Klavierkonzert von Rachmaninoff die Bühne. Ihre Hände bringen die Partitur nicht mehr auf die Tasten, beginnen eigenständig zu spielen, orientieren sich nicht länger an den konventionellen Leitplanken. Eine Woche vor diesem abgebrochenen Konzert hat sie sich die Haare blau färben lassen.
Was zunächst wie eine Rebellion gegen ein konservatives System aussieht, gerät in Folge der Geschichte für Elsa M. Anderson zu einer Revolution. Um wieder zu sich zu kommen, reist sie durch Europa und gibt talentierten Schülern Klavierstunden. Ein Verlangen nach Zauberei, Flug und Flucht liegt diesen Reisen zugrunde - einer Flucht vor allem vor Männern und dem eigenen Talent.
Ihr Adoptiv-Vater, der gleichzeitig ihr Klavierlehrer war und in gewisser Weise immer noch ist, hat das vermasselte Konzert mit einem der härtesten und unnachgiebigsten Sätze des Buches kommentiert: Jetzt, wo du den Rach bei einem wichtigen Konzert vermasselt hast, ist die einzige Bühne für dich der Bahnhof London St Pancras.
Nach einem solchen Kommentar bleibt nur noch der Kauf eines Flugtickets. Doch so weit sie auch reist – sie entkommt sich dennoch nicht. In den Begegnungen mit ihren Klavierschülern begegnet sie letztlich ihrer eigenen Vergangenheit, denn in der neuen Position der Lehrerin wird sie natürlich mit den Umständen ihres eigenen Lernens konfrontiert.
Es gibt in diesem Buch so viele schöne Sätze, starke Bilder und durchkomponierte Leitmotive – aber aus all dem Gelungenen stechen diese Szenen des Unterrichts heraus. Wie Deborah Levy diese Begegnungen der gescheiterten Wunderpianistin mit den jungen Talentierten schildert, ist von unendlicher Meisterschaft.
Die Bedürfnisse und Wünsche der Schüler sind gleichermaßen präsent wie die Ansprüche der Eltern, das tastende Suchen in der Vergangenheit durch Elsa Anderson genauso wie deren Wunsch nach Stabilisierung. Levy gelingt es, dies alles in der Schwebe zu halten, teilweise unausgesprochen, aber die Szene durchaus atmosphärisch prägend.
„Augustblau“ kennt noch zahlreiche weitere Motive und Wendungen – die zu verraten schade wäre. Mitunter wirkt der Roman wie eine Partitur in Fragmenten, voller gleichsam dissonant wie harmonischer Zusammenhänge. Doch letztlich fügt Deborah Levy alles in eine große zyklische Komposition zusammen. Sie beweist hier eine absolute Meisterschaft in der Schilderung fragiler Situationen, die in Gänze ein formvollendetes Romankunstwerk ergeben.