bis 21. April 2022
C/O Berlin
Hardenbergstraße 22–24
10623 Berlin Berlin
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„Wir wollten, dass es eine durchgängige Erzählung wird. Diese Geschichte erzählt etwas über das Leben in der DDR, es erzählt die Geschichte des Wandels, des Jahres '89 und geht dann in den Übergang, nämlich die Folgen der Wiedervereinigung“, so Ute Mahler, Co-Kuratorin der großen Hans Hauswald Retrospektive „Voll das Leben“ – jetzt mit dem Zusatz „Reloaded“, da diese wegen der großen Nachfrage bis zum 21. April 2022 verlängert wurde.
Es sind Hauswalds Fotografien, die nun – passenderweise möchte man sagen – mit Hilfe der neuen Augmented Reality App des C/O Berlin auch außerhalb der Mauern des Amerika Hauses zu erleben sind. Zumindest, wenn man sich auf einem folgender drei Bahnsteige der U2 befindet: Klosterstrasse, Rosa-Luxemburg-Platz und Potsdamer Platz. Darunter nie veröffentlichte Aufnahmen, wie zum Beispiel eine Serie, die ganz dem Tanz gewidmet ist: vom spießig-miefig anmutenden Walzerabend im Prater bis zum Konzert der Punkband Zerfall (oi, oi, oi!) im Jugendclub.
Es ist die U-Bahn Station Rosa-Luxemburg-Platz, an dem sich letzte Woche unter dem grauen, leicht nieselnden Berliner Januarhimmel eine Gruppe Journalist:innen, Blogger:innen und Fotograf:innen auf Einladung des C/O versammelt haben. Darunter auch die Person, um die sich alles dreht: der Fotograf und Gründungsmitglied der renommierten Ostkreuzschule für Fotografie, Harald Hauswald.
Hauswald, der 1954 in Radebeul, Sachsen geboren wurde zählt zu den bedeutendsten Fotograf:innen der DDR und gehört neben Sibylle Bergemann, Ute Mahler und Werner Mahler auch zu den Gründungsmitgliedern der renommierten Ostkreuz Agentur der Fotografen.
Über seine Motivation mit der Kamera loszuziehen verrät Hauswald: „Ich hab den Druck gespürt, der ausgelöst wurde durch die politischen Umstände und das Fotografieren war für mich der Versuch vom Kopf her gegenzustemmen, Dampf abzulassen.“
Dazu muss man wissen: Hauswald stand zwischen 1978 und dem Fall der Mauer unter ständiger Beobachtung. Über 40 IMs waren in Spitzenzeiten gleichzeitig auf den Fotografen angesetzt, dessen Aufnahmen sich stark von „dem vorherrschenden Bild des Westens über den Osten Deutschlands dominiert von SED, Mauer oder Militärparaden unterschieden. Harald Hauswald fing einmalige Momentaufnahmen und Zeugnisse des sozialistischen Alltags in der DDR, insbesondere der Entwicklung des Ostberliner Stadtraums und des Wirkens oppositioneller Gruppen (er war Teil dieser Szene) mit seiner Kamera ein.“
„Im Jahr 1985 erhielt Hauswald einen Stasi-internen Haftbefehl unter anderem wegen ‘staatsfeindlicher Hetze‘, ‘Agententätigkeit‘ und ‘Weitergabe nicht geheimer Nachrichten‘. Inhalte und Teile seiner Stasi-Akte sind in die Ausstellung eingewoben und ermöglichen so einen Dialog zwischen zeithistorischem Bezug, Fotografie und Werk.”
Auslöser für die Observierung war das Erscheinen seines Buches “Ostberlin“ 1986 im Münchner (!) Pieper Verlag, infolgedessen wurde 1988 angeordnet, dass sich Hauswalds Tochter Anne in Heimobhut begeben musste. (Die Mutter seiner Tochter Anne war über das Gefängnis in den Westen ausgereist, Hauswald war allein erziehender Vater.)
Wie sich die Observierung konkret im „Alltag“ auf Harald Hauswald auswirkte, erzählt uns C/O Berlin Chef-Kurator Felix Hoffmann vor Ort auf dem Bahnsteig (checkt unsere Insta-Stories für das Video-Snippet). In den Worten von Felix Hoffmann: „Man macht Bilder, man wird observiert und daraufhin wird einem die Tochter weggenommen. Das hat mich wirklich sehr bedrückt gemacht, und deswegen ist das auch im Buch und Teil der Ausstellung”
Während ich über den Bahnsteig laufe und mir mit Hilfe der App auf dem Handy bisher unveröffentlichte Fotografien Hauswalds ansehe, lösen diese eine ganze Kaskade an Reflektionen in meinem Kopf aus. Da sind einmal die Plakatflächen, die historische Aufnahmen Berlins aus der Vorkriegszeit zeigen und nun im wahrsten Sinne des Wortes die Rahmen geben für Hauswalds empathische und raue Momentaufnahmen, die einem ganz nah kommen, dem Leben, wie es damals war, im Berlin der DDR.
Und dann steigt auch noch eine gewisse Genugtuung in mir hoch. Man stelle sich vor, die SED-Spitze hätte geahnt, dass 30 Jahre später Hauswalds Fotografien frei zugänglich für jedermann im urbanen Raum zu sehen sind – auf U-Bahnhöfen der Linie U2, die den Osten mit dem Westen verbindet. Und dann noch mit Hilfe einer frei verfügbaren Augmented Reality App… Bitte schön lächeln!