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Krank? Gesund? Anwesend? Wenn Krankheit zur Teamfrage wird

Montag, 28. April 2025

Über die Autorin

Zoë Schlär ist seit fast 20 Jahren Mediatorin und versteht sich als Übersetzerin in Konfliktsituationen – sowohl im Beruflichen als auch im Privaten. Zudem ist sie Ausbilderin für Mediation, Trainerin und Systemischer Businesscoach. Für Creme Guides schreibt sie über festgefahrene Situationen, neue Begegnungsräume und das gegenseitige Verstehen, um nachhaltige Veränderung zu erreichen.

Neulich, in einem Teamtag, wie ich ihn mir öfter wünschen würde: geschützter Raum, ehrlicher Austausch, überraschende Aha-Momente. Anlass war ein Thema, das in vielen Teams leise mitschwingt, aber selten ausgesprochen wird – der Umgang mit Krankheit. Oder besser gesagt: der unterschiedliche Umgang damit.

Da ist Andrea, die mit Husten und Schnupfen tapfer zur Arbeit erscheint. "Ist doch nur ein bisschen Erkältung", sagt sie und stellt ihren Ingwertee auf den Tisch. Ihre Kolleg:innen hingegen ziehen sich dezent zurück, desinfizieren Tastaturen, flüstern sich zu. Die Sorge, sich anzustecken, ist spürbar – ebenso wie das Unverständnis darüber, warum Andrea nicht einfach zuhause bleibt.

Dann ist da Markus. Er schleppt sich ins Büro, obwohl er seit Wochen über Rückenschmerzen klagt und sichtlich erschöpft ist. Sein Blick wirkt müde, aber wenn man ihn darauf anspricht, winkt er ab. „Geht schon.“ Doch was treibt ihn an? Vielleicht die Angst vor negativen Konsequenzen, wenn er fehlt. Vielleicht das Gefühl, unersetzlich zu sein. Vielleicht eine Unternehmenskultur, in der Präsentismus – also das krank zur Arbeit Erscheinen – immer noch als stillschweigende Erwartung gilt.

Und schließlich Filipa. Anfang 30, clever, sportlich, Fan von Union. Und häufig krank. Auffällig oft montags, nach Spieltagen. Vor kurzem war sie eine Woche lang nicht da – nicht wegen ihr selbst, sondern wegen ihrer Katze. Die hatte einen Krampfanfall, und Filipa war emotional so durch den Wind, dass ihr Arzt sie krankschrieb. Im Team war das Anlass für Augenrollen, für spitze Bemerkungen, für stille Grollreserven.

Als sie im Teamtag von sich erzählte, wurde etwas deutlich: Ihr ist es wichtig, neben dem Beruf auch ein anderes Leben führen zu können – eins, in dem Platz ist für Freizeit, Emotionen, Verbundenheit. Sie spürt jedoch oft, dass das unausgesprochen in Frage gestellt wird. Dass es im Subtext heißt: Wer fehlt, ist nicht engagiert genug. Wer Raum für anderes beansprucht, gehört nicht ganz dazu.

All das führte zu einem unterschwelligen Ungleichgewicht. Und zu Spannungen, über die nicht gesprochen wurde. Die Teamleitung hatte das längst bemerkt – fühlte sich aber machtlos. Schließlich geht es um individuelle Entscheidungen, Atteste, Empfindungen. Und doch ist es ein kollektives Thema: Wie wir mit Krankheit umgehen, betrifft nicht nur die Einzelnen, sondern das Miteinander.

Im Teamtag wurde das zum ersten Mal offen besprochen. Ohne Schuldzuweisungen, dafür mit vielen Perspektiven. Andrea erzählte, dass sie sich zuhause oft nutzlos fühlt und das Team nicht belasten will. Markus gestand, dass er Angst hat, in der Masse unterzugehen, wenn er fehlt. Und Filipa brachte den Wunsch nach einem Leben jenseits des Jobs auf den Tisch – und das Bedürfnis, dass dies im Team seinen Platz haben darf.

Es war ein intensives Gespräch. Es floss sogar etwas Humor mit ein, was half. Vor allem aber kam Verständnis auf – nicht zwingend Zustimmung, aber ein Stück mehr Miteinander. Ob das die Krankheitsquoten verändert? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber das Gespräch selbst war ein Anfang. Denn nichts anzusprechen, hilft nie – es festigt nur das Gefühl von Unfairness.

Und manchmal ist es eben nicht der Infekt, der krank macht, sondern das Schweigen drumherum.

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