"Ich habe es sehr vermisst, Kunst während der Pandemie zu sehen", so Cindy Sherman in einem Interview, das Sie letztes Jahr gab. Und weiter: "Ich finde es sehr informativ und inspirierend, Kunst zu betrachten, selbst schlechte Kunst. Es hilft mir zu formulieren, warum Dinge funktionieren und nicht funktionieren."
Dieses Zitat der amerikanischen Foto Künstlerin, die für ihre bis ins letzte Detail aufwendig inszenierten Selbstportraits sexueller Stereotypen bekannt ist, löst eine ganze Kaskade von Fragen und Gedanken aus.
Was passiert, wenn wir Kunst (gute oder schlechte) alleine betrachten? Also digital, online auf der Couch ohne den heiß vermissten Galerie Buzz um uns herum, anwesende Besucher, Künstler, Kurator*innen, Stimmengewirr und Rotwein? Sehen wir uns die Werke anders an, trauen wir uns vielleicht direkter und ehrlicher zu urteilen? Wie hier eine Fotografie einfach auf uns wirken zu lassen? Und was sagt es über unser Innenleben und Sicht der Welt aus?
Nehmen wir zum Beispiel Cindy Shermans aktuelle Serie, die es nur noch bis zum 13. Februar bei Sprüth Magers zu sehen gibt, in der wir Sherman nicht mehr nur in „typischen“ Frauen Rollen sehen und erleben können. Stattdessen werden wir Zeuge einer fast unangenehm glatten geschlechtlichen Metamorphose hin zu androgynen, gleichzeitig zutiefst männlichen Charakteren, mit stahlharten Blicken die uns unnachgiebig und herausfordernd geradezu in den Augenkontakt zwingen. Während unser Blick noch irritiert über die flamboyant-extravagante Kleidung schweift, ist es die manipulierte Landschaft im Hintergrund, die uns endgültig ins Kaninchen Loch hinunterzieht. Ist die Realität, unser Alltag nur noch eine Spiegelung der Vergangenheit, eine optische Täuschung, eine endlose Wiederholung, täglich grüßt das Murmeltier? Oder um Sherman zu zitieren, hilft es uns zu formulieren, warum Dinge funktionieren und nicht (mehr) funktionieren?
Und was haben diese höchst subjektiven Reflektionen mit Shermans großformatigen Fotografien zu tun? Sie wurden dadurch ausgelöst. Ganz ohne die haptische, wunderbar analoge Realität einer Galerie, in diesem Fall Sprüth Magers. Kunst wirkt immer, wenn wir es zulassen und loslassen. Vor allem die Arbeiten die vermeintlich nichts mit uns zu tun haben oder erst einmal nur irritieren. Einfach in die Couch sinken and down the rabbit hole!