Dunkel und nass ist es auf der Sonnenallee, beinah verschwörerisch fühlt es sich an, als ich mich zwischen einem Shisha-Shop und einem libanesischen Imbiss in einen Hausflur begebe. In einen typischen Neuköllner Hinterhof. Es riecht süßlich nach Wasserpfeife, es nieselt – ich klingel bei Karl-Louis und husche hinein ins Trockene.
Nicht viele Dinner-Abende beginnen auf diese Weise. Die erste vieler willkommener Überraschungen an diesem Abend bei Loumi Dining, der mich zu der Erkenntnis bringen wird: Es gibt sie, diese herausragenden Dinner-Erlebnisse. Aber von vorn: Mical und Karl-Louis begrüßen mich herzlich an der Haustür. Sie sind Köch:innen und Gastgeber:innen in Personalunion. Auch sonst bleibt es heute Abend sehr intim.
Das „Loumi Tasting Menu“ bietet pro Abend derzeit einen großen Tisch für insgesamt sechs Gäste – heute Abend bei Karl-Louis daheim. Buchen kann man als Einzelperson aber auch als Gruppe. Dank des Ticketsystems muss man sich am Abend selbst um nichts mehr kümmern. Die Gastgeber:innen bereiten köstliche Speisen sowie eine stimmige alkoholische wie alkoholfreie Getränkebegleitung vor.
Wir sind an diesem Abend also ein zusammengewürfelter Haufen – was der Stimmung allerdings keinen Abbruch tut. Im Gegenteil: Wir verbringen einen ungezwungen Abend mit wunderbarem Essen und Getränken, ganz wie Mical und Karl-Louis es sich vorstellen. Ob es auch manchmal Probleme zwischen den Gästen gebe fragen wir Mical. Das komme eigentlich nie vor, die Stimmung sei meistens ziemlich ausgelassen verrät sie: „Viele unserer Gäste gehen später noch gemeinsam in die Kneipe“.
Wir beginnen also, uns bei einem Glas Cava respektive Kombucha etwas zu beschnuppern. Recht flott stehen dann eins nach dem anderen auch ein paar Amuse Geules auf dem Tisch. Den Auftakt macht eine Auster mit Jalapeñoschaum und Meeresfenchel – die Komplexität dieses ersten Grußes aus der Küche, die Samtigkeit des Schaums, die aromatische Raffinesse, die makellose Ausführung, schaffen eine erste Idee davon, womit wir es kulinarisch heute Abend zu tun haben.
Ein Raunen am Tisch verursacht wenig später auch die Bierteigcrustade mit einem Tartar vom Taschenkrebs abgeschmeckt mit Ingwermayonnaise und Fingerlimes obenauf. Das Texturenspiel aus knusprigem Teig und saftigem Tasschenkrebs, dazu die fein ausbalancierte Säure der Zitrusfrucht – Wow! Ebenso beeindruckt, wie von dem köstlichen Pfannküchlein aus fermentiertem Reis und knusprig auffrittierter Kumbualge, sind wir von dem Fakt, dass diese kulinarischen Kunstwerkchen in Karl-Louis kleinen Heimküche entstehen.
Überhaupt wird der Tisch beschwingter, uns gefällt diese unbeschwerte Privatheit doch ziemlich gut. Immerhin nahm es so auch seinen Anfang. Denn Karl-Louis und Mical sind Autodidakt:innen. Inzwischen können beide zwar auf recht namhafte Praktika (Restaurant A.T. in Paris, Mãos und Ikoy in London, Votum in Hannover) in der Gastronomie verweisen (und das merkt man ihrem Küchenstil an!), aber gelernt haben beide etwas ganz anderes. Karl-Louis kommt aus der IT, Mical aus der Kunstgeschichte, beide wollen beruflich etwas neues wagen – zum Glück für uns.
Anfangs machen sie zuhause gemeinsam kleine Kochevents für Freund:innen, später mieten sie Locations, die Idee eines Business wächst, 2017 gründen sie Loumi Dining. Unter normalen Umständen machen sie jeden Monat an zwei Wochenenden die Tasting Dinners in verschiedenen gemieteten Locations in Berlin und Hamburg, dazu Caterings für bis zu 150 Personen.
Dabei ist tatsächlich jedes Dinner anders. Zwar gebe es auch manchmal Gerichte, die so oder so ähnlich noch einmal genutzt würden, grundsätzlich aber versuchen Karl-Louis und Mical das zuzubereiten, was sie gut finden. Klassisch französische Küche dient dabei als Basis, klar erkennbar sind aber auch asiatische Einflüsse, insbesondere im Einsatz von Fermenten wie dem selbstgemachten Miso. „Wir haben gestern gerade Koji selbst geimpft“, erklärt Mical nicht ohne Stolz in der Stimme.
Nordisch, französisch, japanisch sei im Prinzip der der klassische Küchendreiklang ihres Kochstils, „aber wir lassen uns eigentlich nicht gern in Schubladen packen, denken auch gern ‚outside the box‘ und wenn wir gute Produkte bekommen, dann probieren wir auch gern aus, mit denen zu arbeiten. Aber es ist uns eben auch wichtig, auf die Nachhaltigkeit und Tierwohl zu achten.“
Da die Mengen der Zutaten vorher schon feststehen, entsteht zudem kaum Müll, durch die Tasting Dinners kann man sehr genau kalkulieren und schmeißt wenig weg. Dabei legen Karl-Louis und Mical großen Wert auf die Qualität der Zutaten, beziehen diese beispielsweise von der Markthalle Neun oder Fish Klub: „Es freut uns einfach sehr, mit solchen Produkten arbeiten zu können und darauf legen wir auch großen Wert!“, erklärt Mical.
Die herausragende Qualität der Speisen lässt sich fraglos erschmecken. Angesichts der sehr produktbezogenen Küche kommt im Sommer viel Gemüse auf den Tisch, im Winter oft Wild, derzeit haben die besten Meeresfrüchte Hochsaison. Dementsprechend dürfen wir eine große Auswahl köstlicher Fisch- und Meeresfrüchtegerichte kosten. Die Süße und Nussigkeit der Jakobsmuschel betonen Karl-Louis mit Mandelmilch und gerösteten Mandeln, N25 Kaviar sorgt für einen Hauch, aber nicht zu viel Salz.
Herrlich auch die Rotbarbe aus Frankreich, die fast an Krustentier erinnert. Dazu gibt es eine unglaublich dichte „Sauce Bouillabaisse“ auf Basis von Muschel- und Hummerboullion. Unser Highlight des Abends (wenngleich uns die Wahl angesichts der fantastischen Gerichte wirklich schwer fällt) ist der Pollack mit Koji, XO Sauce auf Seeigel-Basis und Kürbis. Die feine Süße des Fisches, seine genial-zarte Konsistenz wird herrlich ergänzt durch die deutlich wahrnehmbare Meeresessenz des Seeigels in der XO Sauce. Elegant eingewoben auch eine feine Schärfe, denn „es soll schon auch nach etwas schmecken, so ganz puristisch agieren wir nicht.“
Hervorragend fügt sich dazu recht überraschend auch ein Saft auf Paprikabasis mit Boskopäpfel und Kürbis in einem wunderschönen orangerot. Auch die Weinbegleitung aus konventionellen Weinen und ausgesuchten Naturweinen stößt ebenso auf viel Zuspruch.
Das Tischgespräch hat sich in der Zwischenzeit Kindheitserinnerungen zugewandt: Grund dafür könnte der Nikishi Reispudding sein, hinter dem sich eine Art Sushi-Milchreis mit Vanille, schwarzem Kokotuzucker und einem Zitrussalat verbirgt. Auch die Konsistenz des Honycomb, der zum Earlgrey Parfait und weißer Schokolade in verschiedenen Texturen gereicht wird, trifft auf großen Anklang in unserer kleinen Tischrunde. Längst ist die Stimmung ausgelassen und heiter.
Dunkel und nass ist die Sonnenallee noch immer, doch ich bin beseelt von tausenden neuen Eindrücken auf kulinarischer wie menschlicher Ebene. Ein Abend bei Loumi Dining ist wirklich sehr besonders – sollten Sie die Chance auf ein Ticket haben, lassen Sie sich unbedingt auf diese Erfahrung ein!