Nachdem Karl Ove Knausgård sich durchgerungen hat, den von ihm verehrten Anselm Kiefer nach Aquarellen für ein neues Buch zu bitten, nachdem er über Freunde, Partner und Agenten schließlich an einen Kontakt zu Kiefers Assistentin gekommen ist, nachdem Knausgård seine Scheu überwunden hatte und schließlich mit Kiefer und dessen Assistentin im Atelier zu Mittag aß und in ein Gespräch über miserable Künstlerväter einsteigt (Gerade er! Knausgård hat 4500 Seiten über seinen Vater geschrieben!) - nachdem Knausgård also einen langen langen Anlauf genommen hat, sagt Anselm Kiefer nach dem Essen: "Wir müssen Klaus die Bücher zeigen.“ – Klaus? Wusste er nicht wie ich hieß?"
Das Karl Ove Knausgård ein mutiger Mensch ist, ist mit dem Durchstehen des eben genannten Anlaufprocederes hin zu Anselm Kiefer skizziert. Das er auch ein mutiger Künstler ist, ist aus den drei zitierten Zeilen herauszulesen: Dieser leicht peinliche Moment des falschen Namens - und das Knausgård ihn hinschreibt! Darin besteht der Mut dieses Schriftstellers: Das er die Aura der eindrucksvollen Werke gleichwertig mit den irritierenden Momenten des Menschen Anselm Kiefer betrachten und stehen lassen kann.
"Der Wald und der Fluss" ist ein Portrait Anselm Kiefers. Knausgård erzählt von seinen Treffen mit Kiefer in Ateliers, auf Ausstellungseröffnungen und schließlich von einer gemeinsamen Reise nach Donaueschingen, den Geburtsort Kiefers. Er wird Zeuge des Entstehungsprozesses dieser monumentalen Bilder und Skulpturen und versucht deren Geheimnis zu beschreiben. Knausgård ist kein Enthüller, der etwas Blendendes an dieser Kunst zu offenbaren sucht. Er tastet sich heran und denkt über das Verhältnis und die Bedeutung von Kunst und Künstler nach. Dabei geht es keineswegs um ein Urteil über einen Menschen, sondern um dessen Darstellung. Knausgård zeigt uns, wie er Kiefer erlebt, welche Dimensionen seines Charakters er gezeigt bekommen hat.
Genau deshalb ist dieses Buch so außerordentlich gut - weil es eben nicht das abermalig widergekäute Loblied ist. Hier ist etwas Neues zu lesen, dass sich in den Portraits, Laudatios oder Kinofilmen nicht findet. Knausgård lässt auch die irritierenden Momente in den Begegnungen mit Anselm Kiefer zu, und rückt uns diesen Menschen genau darum umso näher.